28.11.2020 |
acreo consulting ag, Daniel Frei
Für agile Auftraggeberinnen stellt sich die Frage: "können wir unser neues ERP-System agil beschaffen?".
Ein neues ERP-System agil zu beschaffen wird je länger je intensiver diskutiert. Die ERP-Projekterfahrungen der ERP-Profis der acreo zeigen, dass es durchaus möglich und mancherorts auch bereits erfolgreich angewendete Praxis ist. Im ERP-Umfeld haben sich ERP-Anbieterinnen und Auftraggeberinnen traditionell einer schrittweisen Beschaffung angenommen, welche sich in etwa wie folgt beschreiben lässt:
Dieser stark vereinfacht dargestellte, traditionelle Beschaffungsprozess ist von vielen Seiten Dokumentation, einigen Präsentationen, Frage-/Antwort-Runden und Verhandlungen geprägt. Selbstverständlich ist für eine qualitativ hochwertige Durchführung der ERP-Beschaffung eine entsprechende Zeit- und Ressourcenplanung vorzusehen. Dies kann rasch einmal mehrere Monate in Anspruch nehmen.
Auffällig bei traditionell durchgeführten ERP-Beschaffungen ist, dass der Prozess auf Annahmen, individuellen Eindrücken, teilweise unreflektierten Erwartungen und auch Versprechen basiert. Die Zusammenarbeit zwischen Auftraggeberin und ERP-Anbieterin startet auf der Grundlage von Dokumenten. Dies in einem bereits weit fortgeschrittenen Beschaffungsprozess, in welchem viele Überlegungen eingeflossen sind - jedoch "nur" seitens Auftraggeberin. Selbstverständlich ist Agilität in diesem Kontext auch mit neuen Fragen verbunden. Beispielsweise, wenn die Beschaffung nach GATT/WTO Regeln zu erfolgen hat, oder wenn seitens Auftraggeberin oder ERP-Anbieterin entsprechende Erfahrungen fehlen, oder wenn das gegenseitige Vertrauen (noch) zu wenig entwickelt ist, oder wenn grundsätzlich ein Dokumenten-basierter Ansatz gelebt wird. Traditionell werden alle zwingenden und erwünschten Anforderungen dokumentiert. In der Regel wird seitens Auftraggeberin auch der Vorgehensplan und damit insbesondere die einzuhaltenden Termine wie beispielweise der "Go-Live" Termin vorgegeben. Somit bleiben insbesondere der Erfüllungsgrad der Anforderungen und der dazu offerierte Preis von Interesse. Als agile Auftraggeberin möchte man jedoch anders vorgehen.
Bei der agilen ERP-Beschaffung erwartet man von Anfang an sicht- und messbare Resultate. Somit verändert sich die Zusammenarbeit grundlegend, mit Vor- und Nachteilen gegenüber einer traditionellen Beschaffung. Risiken können früher erkannt werden, "falsche" Versprechen früher erkannt und die Risiken besser verteilt werden. Durch den Fokus auf die direkte Wertschöpfung wird die Zusammenarbeit rasch auf die funktionierende ERP-Lösung ausgelegt. Wenn man sich als Auftraggeberin für eine agile ERP-Beschaffung interessiert oder entscheidet, dann könnten folgende Fragestellungen von Interesse sein.
Die Merkmale könnten in vielen Fällen wohl auch als Besonderheiten bezeichnet werden. In vielen ERP-Projekten ist Agilität oder wenigstens Teile davon bereits im Projektvorgehen verankert. Doch die der Zusammenarbeit vorlaufenden Tätigkeiten - während der ERP-Beschaffung - finden in der Regel noch immer nach traditionellen Regeln statt. Die agile ERP-Beschaffung erfordert, dass von Anfang an das Vorgehen in mehrere Iterationen unterteilt werden kann. Mit jeder Iteration kommt man der ERP-Beschaffung einen Schritt näher, die Ermittlung und Dokumentation von Anforderungen, das Feedback dazu (bspw. Präsentationen, Demo, Demo-Zugang, Best-Practices, Workshops) erfolgt in jeder einzelnen Iteration. Wenn die ERP-Gesamtlösung im gemeinsamen Fokus steht, dann kann über die Lösungen und deren Wert interagiert werden und weniger über Meilensteine, Preise und die Anforderungserfüllung auf der Lastenheft Seite 235 ;-).
Natürlich finden sich auch viele Parallelen in einer erfolgreichen Beschaffung, unabhängig ob agil oder traditionell:
Ob eine agile ERP-Beschaffung das richtige und bestmögliche Vorgehen ist hängt von vielen Faktoren und Einflüssen ab.
Insbesondere davon, wie Fit die beteiligten Unternehmen, Teams und Personen betreffend einer agilen Zusammenarbeit sind. Eine agile ERP-Beschaffung ist somit auch (und vielleicht sogar - insbesondere) einen Frage der Einstellung.